01.06.2018

Anfrage

Warum musste man nachträglich standesamtlich heiraten?

Meine Großeltern heirateten im Februar 1890 kirchlich. Standesamtlich im März 1918. Aufgrund welchen Rechts wurden sie nachträglich standesamtlich getraut? H. Schwarz, Berlin

Ich weiß nicht, wo Ihre Großeltern kirchlich geheiratet haben, aber in Deutschland kann es eigentlich nicht gewesen sein. Dort war bereits seit dem 6. Februar 1875 eine staatlich geschlossene Zivilehe Voraussetzung dafür, dass eine kirchliche Trauung überhaupt vollzogen werden durfte. Im sogenannten Kulturkampf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte Reichskanzler Otto von Bismarck vor allem gegen die katholische Kirche die obligatorische Zivilehe erzwungen. Das Personenstandsregister wurde seitdem staatlicherseits geführt. Traute ein Priester ein Paar ohne den Nachweis einer vorherigen staatlichen Trauung, galt das bis 1957 als Straftat; erst unter Konrad Adenauer wurde es zur Ordnungswidrigkeit. 

Gerade im ländlichen Raum mag es Übergangszeiten gegeben haben. Die Register mussten von Pfarrarchiven an staatliche Stellen übertragen werden; besonders die katholische Kirche wehrte sich gegen die Neuregelung und sah sich in ihrer religiösen Selbstbestimmung beeinträchtigt. Dennoch setze sich die auch „Zwangszivilehe“ genannte Form in dem gut organisierten Staat schnell durch – eigentlich deutlich eher als 1890. Dazu trug bei, dass nur staatliche Formulare etwa in Steuerangelegenheiten, aber auch in der Ehelichkeit von Kindern galten; da war es quasi unabdingbar, (auch) auf dem Standesamt zu heiraten. Vielleicht waren es solche behördlichen Schwierigkeiten, die Ihre Großeltern veranlassten, die kirchliche Trauung nachträglich staatlich legitimieren zu lassen.

Die staatliche Vorabtrauung wurde in Deutschland schnell zur Normalität. Im Reichskonkordat 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und Deutschland erkannte die katholische Kirche dies offiziell an. Die Regelung galt bis zum Inkrafttreten eines neuen Personenstandsgesetzes am 1. Januar 2009 durchgehend und ohne Ausnahme. Heute sind Ausnahmen möglich (Rentnerehe), aber das ist ein anderes Thema.

Von Susanne Haverkamp