12.05.2015

Der Apostel Matthias

Der ausgeloste Apostel

Nur einmal taucht der heilige Matthias in der Bibel auf: als er für Judas nachrückt in den Apostelkreis. Trotz knapper Quellenlage rankt sich um ihn ein reiches Brauchtum.

Der Apostel Matthias als Statue an der Trierer Basilika. Foto: Matthias Petersen

„Es gibt so vieles in meinem Leben, für das ich danken kann und will. Am meisten dafür, dass ich vor zwölf Jahren die schwere Operation gut überstanden habe und am Leben geblieben bin. Da dürfen die Füße ruhig mal ein bisschen wehtun.“ Beate Niewel steht an der Apostelfigur in der Trierer Basilika St. Matthias. Mit 150 Frauen, Männern und Kindern stimmt sie in das Loblieb auf den heiligen Matthias ein.

„Zu der Apostel Zahl gesellt durch heilge Wahl, Matthias, Gottes Zeuge, jetzt an des Höchsten Thron hilfreicher Schutzpatron, zu uns dich niederbeuge! Das ganze Land hebt Herz und Hand empor zu dir vertrauend.“ So heißt es in der ersten Strophe des Trierer Matthias-Liedes. Sie weist hin auf die Stelle in der Apostelgeschichte, in der von der Nachwahl des Matthias in die Gruppe der Apostel berichtet wird.

 

Als Augenzeuge ein „Garant der Tradition“

Der Name Matthias ist Kurzform des hebräischen Mattathias, übersetzt „Geschenk Gottes“, und deutet auf die jüdische Herkunft des Mannes hin, der unmittelbarer Augenzeuge des Lebens und Wirkens Jesu war. Nicht viel ist bekannt über ihn. Aus exegetischer Sicht ist er „Garant der Tradition“, wie Professor Hans-Georg Gradl von der Theologischen Fakultät Trier erläutert. Der Zwölferkreis stellt für die Apostelgeschichte die Brücke zwischen Jesus und der Urgemeinde dar, weil durch die Apostel das Wissen um Jesu Weg und in seine Botschaft von Augenzeugen bewahrt und durch sie weitergegeben wird. Für die Leser der Apostelgeschichte am Ende des 1. Jahrhunderts war es wichtig zu wissen, dass ihre Gemeinden sich auf dieser Basis entwickelten. „So ist Matthias zwar nachgewählt, aber als mit dem Leben und Wirken Jesu eng vertrauter Jünger ein wichtiges Glied der verlässlichen Traditionskette.“ 

Ob und wieweit die Darstellung der Apostelgeschichte historisch exakt ist, lässt sich so schwer feststellen wie Sicheres über sein weiteres Leben. Matthias stammte aus Palästina und zählte früh zu den Jüngern Jesu. Als Apostel predigte er in Galiläa, später auch in Äthiopien. Unterschiedlich sind die Überlieferungen zu seinem Tod: In Äthiopien sei er als Märtyrer gestorben, sagt eine. Nach einer anderen wurde er in Jerusalem im Jahr 63 gesteinigt und mit dem Beil enthauptet. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass die Reliquien im Trierer Apostelgrab keinen Kopf aufweisen. Die abendländische Kirche sagt, er sei in Mazedonien eines friedlichen Todes gestorben. 

Während in Deutschland Matthias am 24. Februar gefeiert wird, begeht die übrige Welt den Festtag am Samstag nach Christi Himmelfahrt. Matthias ist Schutzpatron der Bauhandwerker, Metzger, Schmiede, Schneider, Zuckerbäcker und des Bistums Trier. Dargestellt wird er mit Buch, Beil, Schwert oder Hellebarde.

Legendenumrankt wie sein Leben ist die Geschichte seiner Reliquien: Kaiserin Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, soll seine Gebeine in Palästina gefunden und nach Rom gebracht haben. Dort werden sie in der Kirche Santa Maria Maggiore verehrt. Auch die Kirche Santa Giustina in Padua sagt, sie sei im Besitz von Reliquien. Der dortige Marmorschrein ist wie das Apostelgrab in Trier seit Jahrhunderten konkurrenzloses Ziel von Pilgern. 

 

Das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen

In die romanische Benediktinerabtei St. Matthias in Trier pilgern die Gläubigen seit rund 880 Jahren zum einzigen Apostelgrab nördlich der Alpen. Bischof Agritius soll die Gebeine, Teile eines Skeletts, im Auftrag von Kaiserin Helena um 320 aus Jerusalem nach Trier überführt haben. Zum Schutz vor den Normannenstürmen 882 versteckt, wurden sie 1050 in der damaligen Euchariuskirche wiedergefunden. Als 1127 mit dem Bau einer neuen Kirche begonnen wurde, hob man das Apostelgrab. Kurz darauf kamen die ersten Pilgerströme. 

7174 Pilger weist die Statistik für 2014 aus. Zahlen, die nach Auskunft des zuständigen Pilgerpfarrers Bruder Athanasius Polag in den letzten 20 Jahren etwa gleichbleiben. „Der Höhepunkt der hiesigen Pilgerbewegung lag zur Zeit des Kulturkampfes Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden vor allem Dankwallfahrten statt. Der jüngste Pilgeranstieg sei nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und in den 1980er Jahren zu beobachten gewesen.

Kern der Wallfahrten bilden die Matthias-Bruderschaften. 12 000 Mitglieder zählen die 91 in der „Erzbruderschaft St. Matthias“ zusammengefassten Bruderschaften, laut Bruder Athanasius eine „kräftige Laienbewegung“. Die Mitglieder nämlich treffen sich nicht nur zu den Wallfahrten nach Trier, sondern bieten das ganze Jahr über umfangreiche Bildungs- und Informationsprogramme an. Neben den Bruderschaften  gibt es zunehmend andere Pilgergruppen, die eine Wallfahrt nach Trier unternehmen. 

Mit dem Sonntag vor Christi Himmelfahrt beginnt die Hauptwallfahrtszeit, die am Dreifaltigkeitssonntag endet. Jedes Wallfahrtsjahr steht unter einem eigenen, von den Bruderschaften gewählten Thema. „Zur Freiheit berufen“ lautet dieses Jahr das Leitthema. „Außerdem ist bei der Matthias-Wallfahrt nicht der Weg das Ziel, sondern das Haus Gottes selbst mit seiner Beziehung zu Aposteln“, erläutert Pilgerpfarrer Bruder Athanasius, der die Reliquie aus der Römerzeit als Ausdruck der tiefen Verbundenheit der Menschen zu Jerusalem und der Urkirche sieht. Einer Verbundenheit, die bis heute besteht.

Das erlebt Beate Niewel gerade zum zwölften Mal. Sie steht in der Krypta der 2010 renovierten Basilika, hält inne im Gebet und legt in die Berührung des Sarkophags ihren Dank und ihre Bitten. „Jedes Jahr merke ich wieder, wie gut dieser Ort mir tut und wie viel Kraft ich von hier mit nach Hause nehme.“ Die schmerzenden Füße sind fast schon vergessen.

Von Christine Cüppers